1. Adventsimpuls – Sterne
Braunschweig, August 2020
Lieber K.,
heute denke ich an dich. Es stehen Sterne über Braunschweig, hell leuchtende. Viel ruhiger als die Leuchtschriftreklame in der Stadt, ruhiger als das Wetterleuchten am Horizont, ruhiger als die rot rufenden Rücklichter der vorbeiziehenden Autos.
Heute stelle ich die Leiter aus Holz an das Dachfenster von Haus vier, steige hinauf, atme ein. Der Sommer zieht sich zurück hier oben, hinterlässt Restwärme. Ich lege mich in meinen Schlafsack, neben mir liegen meine Gedanken, in mir das Kind, das ich gewesen bin.
Ich schaue in den weiten Himmel und liege eingehüllt in warmem Stoff und in freudiger Erwartung unter einer tief gehenden Unendlichkeit.
Sie streift mein kleines Sein, das voller Demut ist, lässt mich das Leben spüren, dieses unaufhaltsame Leben, dieses grüblerisch anmutige.
In der Ferne strahlt das Stahlwerk von Salzgitter.
Ich wende den Blick ab, schaue wieder hinauf. Und dann, plötzlich: eine flüchtige, anhaltende Bewegung über mir. Eine eindrucksvolle, rasch verlaufende Spur. Der Wunsch an diese Nacht erfüllt sich. Was weißt du über die Perseiden, K.? Wir sollten das googlen, würdest du sagen. Dann würdest du vorlesen:

„Die Perseiden […] sind ein jährlich in der ersten Augusthälfte wiederkehrender Meteorstrom, der in den Tagen um den 12. August ein deutliches Maximum an Sternschnuppen aufweist. […] Der Radiant, der scheinbare Ursprung dieses Stroms, liegt im namensgebenden Sternbild Perseus, nahe der Grenze zur Kassiopeia.“ (siehe Wikipedia)
Der scheinbare Ursprung dieses Stroms. Ich schaue in den Sternenhimmel und denke, du bist ein bisschen da. Ich sage dir: Es macht mir große Angst, dass wir uns fremd geworden sein könnten. Aber: An einigen Tagen leuchtet meine Erinnerung heller und weiter als das Stahlwerk von Salzgitter bei Nacht, vielleicht sogar heller als der Stern damals über Bethlehem.
Deine K.
P.S.: Hier unter den Sternen, K., stellt sich mir eine dringende Frage: Wieviel Sternschnuppen muss ein Mensch sammeln für einen sehr sehr großen, sehr unerfüllbaren Wunsch?
Klara Patermann
2. Adventsimpuls – Josef
Josef, wer bist du?
Kennst du die Geschichten über dich? Erzählst du uns eine?
Mit welchen Gefühlen hast du dich auf den Weg gemacht?
Auf deine beschwerliche Reise? Schmerzten dir deine Füße?
Liebtest du? Deinen Sohn, zu dem du dich bekannt hast?
Was bedeutet das, lieben?
Welcher Zweifel war dein größter? Hattest du Angst?
Und welche Sorgen?
Wie wähltest du deinen Weg?
Hast du ans Ankommen gedacht?
Und Josef, an einen Gott?
Hast du süße Datteln von Bäumen gepflückt?
Und hast du dich gesehnt nach etwas?
Hattest du Fernweh? Und Heimweh wonach?
Josef, was bedeutet beheimatet sein?
Welche Abschiede hast du erlebt? Und, Josef, welche Krisen?
Hattest du Blut an den Händen, als Maria euren Sohn gebar?
Wie groß waren ihre Schmerzen? Und deine?
Josef, welche Last trugst du? Welche Lasten?
Und welchen Rat gibst du uns?
Welchen für eine lange beschwerliche Reise?
Welche Bäume säumten deinen Weg und welche Gedanken?
Josef, erzähl uns etwas über Heimat und über Heimatlosigkeit.
Erzähl uns etwas über Frieden. Erzähl was über Furcht.
Erzähl uns etwas über Grenzen und Grenzenlosigkeit.
Erzähl uns etwas über Flucht und übers Abgewiesen werden.
Josef, dann erzähle ich dir von einem Europa
und etwas über abgelegte Menschlichkeit
und auch etwas über mich selbst
und über mein Schweigen.

Klara Patermann
3. Adventsimpuls – Engel
engel auf den feldern singen.
auf welchen, auf stillen feldern.
frostkalte erde auf anbauflächen voller vertrauen,
auf nebligen im dämmerlicht,
der tag neigt sich seinem ende entgegen.
das vergangene jahr schlägt sich nieder in einer verwaschenen verwirrtheit,
der winter schleicht sich heran,
verwunschene gedanken liegen im widerstreit mit der trostlosigkeit der natur, die nur scheinbar trostlos ist, denn:
im kommenden jahr, im nahenden frühling, liegt neues leben verborgen, engelsgleiches,
liegt klare luft, die den nebel vertreiben wird,
liegt eine zeit gemächlichen schmerzes und efeugrüner trauer.
wo sind die engel
wir sind es
wir singen
wir schweigen
wir fordern
wir schreien
all diesen mut heraus
und auch die verzweiflung.
befreiung.
ein trostweg öffnet sich, gesäumt von buchen und fichten, nebel lichtet das leben, gibt den blick frei auf eine lichtung, auf ihr: ein engel ruft gott an. kyrie – herr, erbarme dich.
und die bäume flüstern:
gott segne und behüte dich/
gott lasse ihr angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig/
gott hebe ihr angesicht über dich und gebe dir frieden.
ein wald steht darum, einer voller fragen und rufe nach antworten, die natur urteilt nicht über dich, schau aus dir heraus, ruf in sie hinein. sie schweigt und lächelt dich an, sieh ihr ins gesicht. wenn du es lässt, das licht, dann hältst du dir ein weiches herz, überwindest deine schatten, die silhouetten deiner angst.

jemand sagt:
sonne in deinem gesicht steht dir.
und sagt: ich mag dich.
und: dein lächeln ein schatz. dein lachen magie. du bist ein engel.
und am ende des feldes leuchtet die aufgehende sonne, tränkt das morgen in hoffnung
und eine tiefe, zufriedene ruhe legt sich auf die abgeernteten felder, oh gloria, auf unsere erwachsende erwartung.
Klara Patermann
4. Adventsimpuls –
Die leere Krippe
Wir schauen auf eine leere Krippe.
Kein Mensch ist darin, kein Stroh liegt, kein Tier steht.
Keine Schreie einer Gebärenden sind zu hören, keine beruhigenden Worte.
Kein Stern über Bethlehem, kein freigelegter Weg, keine Hirten, keine Schafherde. Kein neugeborenes Kind, kein Schmerz, keine lichtvolle Geborgenheit.
Nicht ein Wort fällt, keine Melodie. Kein Wind geht, keine Wolke zieht am Himmel, auch kein Stern. Nicht einer. Kein wärmendes Feuer leuchtet.
Kein Baum steht, keine Kiefer.
Die Luft steht still und auch die Zeit.
Dann: Eine Seite wird umgeschlagen, eine beinahe göttliche. Sie flüstert: Ihr seid die, auf die wir gewartet haben.
Die leere Krippe steht noch da, als hoffnungslose nicht, als trostspendende aber. Die Nacht ist da und sie ist noch immer dunkel.
Mit geöffneten Augen schauen wir einer Zukunft entgegen, die ebenso dunkel ist. Dunkel im Sinne von ungewiss, von im Werden, von veränderbar.
Dann: Die Atmosphäre verändert sich, da wird etwas geschrieben, da wird tröstende Hoffnung verliehen. Wege eröffnen sich, es riecht nach Stroh und nach Tier und nach einer sehr großen und fast zeitlosen und ursprünglichen Ahnung.

Endlich bringen die Sterne Licht ins Dunkel und alles schaut auf die leere Futterkrippe und wartet auf das kommende Leben, das neuen Schein in die Welt bringen wird, eine neue Erfüllung, eine erlöste Erwartung und: eine nie endende Verantwortung.
Treten wir zurück. Mit einer dichten Distanz erkennen wir sehr Dringendes, denn die geleerte Dunkelheit der nahenden Nacht verspricht uns:
Wir sind die, auf die wir gewartet haben.
Klara Patermann

„Fürchtet Euch nicht“,
mit diesen Worten der Engel aus unserem Krippenspiel in Mater Dolorosa möchten wir allen gesegnete Weihnachtsfeiertage und einen guten Rutsch ins neue Jahr wünschen.
Herzliche Weihnachtsgrüße
Heidrun Beckmann